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Licht, Hitze und Schatten – Jahreshauptversammlung der Kreisgruppe Rosenheim

Rosenheim, 29.10.2021: Rainer Auer (55) ist neuer Vorsitzender der BUND Naturschutz (BN)-Kreisgruppe. Bei der Jahreshauptversammlung (JHV) im Gasthof Höhensteiger erhielt der ehemalige Bürgermeister Stephanskirchens, der sich als „Lernender“ und offen für die Vielfalt von Positionen vorstellte, das Vertrauen des mit 7300 Mitgliedern stärksten Umweltverbands in Stadt und Landkreis Rosenheim. Ebenfalls neu an die Spitze gewählt wurde als Stellvertreterin Andrea Wauer (52), Ökotrophologin und Biolandwirtin aus Pfraundorf. Gemeinsam motiviert die beiden, auch als Eltern, der Kampf gegen die immer brennenderen ökologischen Verluste. Gerade im Raum Rosenheim gehe nämlich trotz aller Bekundungen von Problembewusstsein „viel den Bach ‘nunter.“

 

03.11.2021

Dank an Peter Kasperczyk und Dr. Gertrud Knopp

Vom BN-Landesvorsitzenden Richard Mergner mit Ehrenurkunde und Laudatio verabschiedet wurden die aus eigenem Wunsch aus dem Kreisvorstand ausscheidenden bisherigen Vorsitzenden Peter Kasperczyk und Dr. Gertrud Knopp. Mit professioneller Führung und fachlicher Expertise sorgten die beiden, die 28 Jahre dem Kreisvorstand angehört hatten, für die Anerkennung des BUND Naturschutz Rosenheim „als kleiner Machtfaktor“ in Landkreis und Landesverband.

Ehrlich-kritische Bilanz

Für den pandemiebedingt längeren Berichtszeitraum seit 2019 hob Peter Kasperczyk die Aufrechterhaltung wichtiger Artenschutzmaßnahmen für Kröten, Orchideen und Co. sowie der regionalen und überregionalen BN-internen Zusammenarbeit auch in Zeiten des Lockdowns hervor. Die Weiterentwicklung von Umweltbildungskonzepten durch Geschäftsstellenleiterin Ursula Fees sei ebenfalls gelungen, mit fortgesetzter Anerkennung durch das Siegel „Umweltbildung Bayern“. Das Großthema Brennernordzulauf fesselte auch Peter Kasperczyk: Seine Teilnahme am Planungsdialog ließ ihn sogar zum „Eisenbahnexperten“ werden, der nach intensiver Faktenrecherche die Forderung nach Berlin richten könne, grundsätzliche Alternativen zu einer lediglich auf Trassenauswahl reduzierten Bahnverkehrsplanung im Inntal ernsthaft zu prüfen. Zu fragen ist: Sind angesichts der vom Bundesverfassungsgericht als geltendes Recht anerkannten Klimaschutzverpflichtungen der immense CO2-Ausstoß für die vielen Tunnelkilometer gerade bei der gewählten Variante Violett und die Verkehrswachstums-Szenarien, die die Planungseckpunkte dominieren, überhaupt noch zeitgemäß?

Die Bilanz seiner zehnjährigen Amtszeit als erster Vorsitzender umfasst Licht, Hitze und Schatten:

Leider negativ: Im Problemkreis Flächenverbrauch sind keinerlei sichtbare Erfolge festzustellen. Pro Tag werden bayernweit über 11 Hektar als zusätzliche Siedlungs- und Verkehrsfläche in Anspruch genommen. Die Reaktion der Kommunen auf die Appelle der Naturschutzverbände sei nie über den Status „Denkanstöße“ hinausgekommen. Auch eine Zielformulierung von 5 Hektar werde nach allen Erfahrungen ohne klare planungs- und verfahrensrechtliche Vorgaben wirkungslos bleiben. Bei der Energiewende zu den Erneuerbaren hinkt Bayern, insbesondere durch die 10H-Regel für Windenergieanlagen, den Erfordernissen weit hinterher. „Nur mit Photovoltaik werden wir das nicht stemmen.“

Lichte Erfolge: In der zehnjährigen Amtszeit als Vorsitzender der Kreisgruppe sei es nicht nur dank eines Mitgliederzuwachses von 4200 auf 7400 gelungen, Naturschutz in der Breite der Zivilgesellschaft zu verankern. Die Kreisgruppe konnte im Landesverband zur Verbesserung der Finanzierung aller Kreisgruppen und durch Grundstückskäufe zur dauerhaften Sicherung wichtiger Biotope beitragen. Speziell für Landratsamt und Bürgermeister sei der BN ein persönlich und fachlich geschätzter Dialogpartner, der in Gesprächen und Stellungnahmen mehr als nur „Denkanstöße“ liefert.

Heiße Themen: Darunter fallen Heuberg-Steinbruch, Mülldeponie bei Babensham, Besucherlenkungskonzept Kampenwand, Erdgasförderung bei Halfing, Begrenzung des A8-Ausbaus zwischen Rosenheim und Bernau auf ein natur- und landschaftsverträgliches Maß, das durch die 6-plus-2-spurige Planung weit überschritten wäre. Und natürlich das Großthema Brennerzulaufstrecke sowie unvermeidlich die Anpassungen an und die Eindämmung der Klimakatastrophe. Als oberste Priorität schreibt der scheidende Vorsitzende der Politik und auch seiner BN-Kreisgruppe diesen Schlusssatz ins Stammbuch: „Die Erderhitzung erlaubt keine Schonfrist mehr!“

„Armutszeugnis“ und Früchte der Hoffnung

Der BN-Landesvorsitzende Richard Mergner betonte in seinem Vortrag „Nach der Bundestagswahl – Chance für Natur- und Umwelt?“ die grundsätzliche parteipolitische Neutralität des BUND Naturschutz, der dadurch auf allen politischen Ebenen als Partner bereit stehe, „alle, die guten Willens sind, zu bestärken“, aufgezeigte Lösungen ernst zu nehmen. Regional zu kämpfen lohne sich für den Heuberg mit seiner „klaffenden Wunde“. Auch beim kämpferischen Einsatz für den Schutz der Artenvielfalt: „Ohne zivilgesellschaftliches Engagement, ohne Druck von unten hätte sich nichts getan.“ Mit dem Erfolg des Bienen-Volksbegehrens und in der Folge erwirkten juristischen Druckmitteln konnte nun immerhin ein Streuobstpakt geschlossen werden.

Mergner, der in Rosenheim noch im Juni in einem Bildungswerkvortrag für eine „Klimawahl“ gesprochen hatte, griff hierzu neben der Krise des Windenergieausbaus und der systematischen Demotivation von Bürgerenergie-Genossenschaften besonders das jahrzehntelange Versagen in der Verkehrspolitik heraus, bei der man unter vier Verkehrsministern aus Bayern „um kein Jota“ weitergekommen sei. Stichwort Elektromobilität: Bayern sei mit erst 50 Prozent Schlusslicht bei der Elektrifizierung der Schiene. Wenn auf Mergners Heimweg über Nürnberg nach Hersbruck der Diesel-Pendolino auf einspuriger Strecke neben der sechsspurigen Autobahn entlang tuckert, wisse man, wohin jahrzehntelang völlig bewusst die Steuermilliarden geschichtet wurden. Nur offenbar ohne Bewusstsein für die eigenen Klimaziele.

Dieser Satz aus dem JHV-Vorvorjahresbericht ist in der Maßnahmen (statt nur Hoffnungen) produzierenden Politik leider immer noch nicht angekommen: Wenn Verkehrswachstum für sich längst zum Problem geworden ist, dürfen immer neue Straßen und Trassen also nicht mehr als unvermeidliche Lösung gelten, …. Nicht auf der dritten Erdinger Startbahn, nicht auf der vierten Schienentrasse durchs bayerische Inntal und nicht auf der sechsten Autobahnspur durch den Chiemgau. Mergner fordert von der neuen Bundesregierung zunächst ein Straßenbaumoratorium und eine den Klimaschutz endlich ernst nehmende Neuausrichtung des Bundesverkehrswegeplans.

Auch die Landes-Regionalplanung verdiene Mergner zufolge den Namen nicht. Ihn „als Wirtschaftsgeograph und Regionalplaner schmerzt das“. Nicht einmal die offensichtlich fortschreitende Erodierung der bayerischen Natur- und Kulturlandschaften sei Anlass, die Aufhebung des Anbindegebots (von Gewerbegebieten) zurückzunehmen – „ein Armutszeugnis“.

Berechtigte Hoffnungen wecken in Mergner dagegen die Kooperationen mit der Jugend (u. a. Fridays for Future), mit Kirchen, Sozialverbänden und Gewerkschaften. Sogar mit der IG Metall, deren Mitglieder und Autozulieferer ja auch Kugellager für Windräder produzieren. „Ein weiteres Rasen in die Klimakrise können wir uns nicht mehr leisten.“ In immer breiteren Bündnissen für eine „sozial-ökologische Wende“ sei man sich zudem einig, dass sich „Soziales nicht gegen Ökologie ausspielen“ lassen darf und dass die Menschen heute für Veränderungen bereit sind, eben auch für die positiven. Gerade, wenn man sie regional sehen und schmecken kann. Statt Fruchtsaftkonzentrat aus Asien erwartet Richard Mergner, der sich bei Landrat Otto Lederer ausdrücklich für sein wertschätzendes „Aushalten bis zum Schluss“ bedankt, bei seinem nächsten Besuch im Landratsamt regionalen Streuobstsaft.

Rainer Auer / Theo Schneider