Brenner-Nordzulauf – der Weg ins Milliardengrab
Der Brenner-Basistunnel (BBT) wird gebaut. Rollen nach seiner nun für 2032 geplanten Inbetriebnahme täglich 400 Züge und mehr auf uns zu? Muss daher mit höchster Priorität der Aus- und Neubau einer Hochgeschwindigkeitstrasse über Rosenheim und Kiefersfelden bis zur Bundesgrenze nach Österreich vorangetrieben werden, wie es im Bundesverkehrswegeplan 2030 steht und wie es einige Politiker und Wirtschaftsvertreter behaupten?
Baukonzerne und Banken dürfen sich freuen: Am Haupttunnel des BBT wird gebaut, trotz vieler ernstzunehmender Gegenargumente wie z. B.:
- Immense Kosten (auch für Deutschland) nicht nur durch den Tunnel selbst, sondern auch durch Neu- bzw. Ausbau von Zulaufstrecken und weiterer Infrastruktur;
- Keine veröffentlichte Nutzen/Kosten-Analyse;
- Bisher kaum Erfolge bei der Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene;
- Insgesamt weiter zunehmender Transitverkehr auf Straße und Schiene am Brenner, zum Nachteil der Anwohner an den Zulaufstrecken;
- Häufig sinnlose Umwege von einigen 100 km auch für den Güterverkehr mit BBT durch die ungünstige Lage der Brenner-Route, z. B. in Bezug auf die wichtigsten italienischen Mittelmeerhäfen und Industriezentren;
- Kapazität der bestehenden Brennerbahn noch nicht genutzt;
- Kein effizientes Betriebskonzept für die Mischung von langsamem Güter- und schnellem Personenfernverkehr bei der Bahn.
Dass nun am Haupttunnel gebaut wird, bedeutet freilich keineswegs wie häufig behauptet, dass nach Inbetriebnahme des BBT täglich 400 Züge durch das Inntal rollen werden. Diese Zahl ist nur eine Bemessungsgrundlage; belastbare Prognosen gibt es leider nicht. Auch aus Sicht der Bahn werden die Zugzahlen nur über Jahrzehnte gesehen ansteigen.
Aus vielen Gründen ist nur mit einer mäßigen Erhöhung zu rechnen:
- In Deutschland und in den anderen EU-Ländern sind keine wirksamen Instrumente für die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene in Sicht. Am Brenner sank der Anteil des Schienenverkehrs in den letzten 5 Jahren sogar von 36% auf 29%.
- Es ist völlig offen, wie Italien den notwendigen Ausbau von 190 km Zulaufstrecke ab Verona, zum größten Teil im Tunnel, zeitlich und finanziell schultern soll.
- Durch den BBT werden größere Zuggewichte und -längen möglich, soweit dies auch die Infrastruktur an den Zulaufstrecken insbesondere in Italien erlaubt.
- Ein Teil des Güterverkehrs im Alpenraum ist Quell- oder Zielverkehr und kann wegen fehlender Infrastruktur gar nicht auf die Bahn verlagert werden.
- Für schnellen Personenfernverkehr auf der Brenner-Route gibt es nur geringen Bedarf, weil die Gesamtfahrzeit zwischen Zentren wie München und Mailand nicht deutlich kürzer wird. Nicht jeder will auch Hunderte von Kilometern in Tunnels oder Einhausungen fahren.
- Der kürzlich eröffnete Gotthard-Basistunnel könnte mit Ceneri-Tunnel und den Zulaufstrecken wieder einen Teil des alpenquerenden Verkehrs aufnehmen, der sich in den letzten Jahren zum Brenner hin verlagert hat.
- Der Ausbau der Bahnstrecke Mühldorf – Freilassing dürfte dazu führen, dass Güterzüge zu den Adriahäfen wie Triest und Koper über die Tauernroute und nicht über den Brenner fahren.
- Die Förderung von innerösterreichischem West-Ost-Bahnverkehr auf deutschem Hoheitsgebiet muss kritisch geprüft werden.
Brauchen wir eine neue Trasse?
Selbst bei einem drastischen Anstieg des Güterverkehrs auf der Schiene müsste keine neue Trasse durch das Inntal gebaut werden. Denn derzeit fahren dort nur etwa 180 Züge pro Tag. Auch im österreichischen Unterinntal wurde erst bei einer deutlich höheren Belastung durch Fern- und Regionalverkehr in Ost-West-Richtung neu gebaut. Eine neue Trasse sollte man sich aus vielen Gründen gerade im dicht besiedelten und teilweise sehr engen Inntal nicht wünschen:
- Baustellen verursachen viele Jahre lang Lärm, Staub und schädliche Abgase.
- Große Flächen werden verbraucht und durchschnitten. Landschaft, Ortsbild und Sichtbeziehungen leiden stark.
- An einer neuen, nicht eingehausten Strecke breitet sich zusätzlicher Lärm aus, gerade bei Hochgeschwindigkeitszügen. Durch den Amphitheater-Effekt im Inntal wird er noch verstärkt.
- Land- und Forstwirtschaft leiden, Entwicklungsmöglichkeiten im Ort gehen verloren, Grundstücke werden entwertet oder gar enteignet.
- Schutzgebiete wie die kürzlich renaturierten Rosenheimer Stammbeckenmoore könnten von der neuen Trasse durchquert und damit beeinträchtigt werden, ebenso wichtige Naherholungsgebiete.
- Tunnel verursachen enorme Zusatzkosten und kaum abschätzbare Risiken, z. B. durch versiegende Wasserquellen. Mit der in Deutschland üblichen Nutzen/Kosten-Bewertung ist eine weitgehende Tunnelführung der Trasse kaum vorstellbar.
- Durch die Umgehung Rosenheims könnten Stadt und Landkreis vom schnellen Personenverkehr in Richtung Innsbruck und Italien abgekoppelt werden.
- Zugunsten von schnellen Personenzügen könnte der Güterverkehr auf die alte Trasse abgedrängt werden.
- Nicht nur die Heimat der hier wohnenden Menschen, sondern auch der Tourismus - ein wichtiger Wirtschaftsfaktor - ist betroffen.
Bei ehrlicher Analyse hätte eine aufwändige Neubaustrecke, die hauptsächlich für wenig nachgefragten Hochgeschwindigkeitsverkehr gebaut wird, ein inakzeptables Nutzen-Kosten-Verhältnis. Sie darf schon deshalb keinesfalls im Bundesverkehrswegeplan bleiben, erst recht nicht im "vordringlichen Bedarf mit Engpassbeseitigung", wie es im aktuellen Plan der Fall ist.
Sinnvolle Maßnahmen für die Bahn...
Der Lärmschutz auf der gesamten Bestandstrasse zwischen München und Kiefersfelden muss wie versprochen auf den Stand einer Neubaustrecke angehoben werden. Darüber hinaus ist der Lärmschutz in angemessenen Abständen zu überprüfen und durch technische Maßnahmen wie besserer Gleisaufbau, wirksamere Lärmschutzwände oder lokale Einhausungen an die Verkehrsentwicklung anzupassen.
Dringend notwendig sind auch die angekündigten generellen Maßnahmen, um den Schall an der Quelle zu bekämpfen, wie die konsequente Einführung von "Flüsterbremsen" und eine regelmäßige Wartung von Schienen und fahrendem Material.
Die Zahl der Züge im Inntal ließe sich vermutlich auf das Doppelte steigern, z. B. durch signaltechnische Maßnahmen. So wurde die 2-gleisige Strecke Augsburg-München lange Zeit im Mischverkehr mit über 350 Zügen pro Tag betrieben.
Dazu wird es aller Voraussicht nach aus den oben erwähnten Gründen nicht kommen. Einen erheblichen Teil des Mehrverkehrs könnte man - soweit auch in Italien möglich - durch längere Güterzüge auffangen. Der Personenverkehr wird auch in Zukunft nur eine mäßige Steigerung erfahren.
Ein Neubau im Inntal einschließlich der Umgehung Rosenheims wäre erst dann erforderlich, wenn absehbar ist, dass trotz der oben genannten Maßnahmen der Zugverkehr auf der Bestandstrasse nicht mehr vernünftig abzuwickeln ist oder die Anwohner deutlich stärker belastet werden als heute. Für diese Entscheidung sind klare, objektive Kriterien anzuwenden.
Beim Planungsdialog müssen sämtliche in Frage kommenden Neubautrassen diskutiert und alle betroffenen Bürger bestmöglich eingebunden werden. Wichtigstes Kriterium für die Auswahl ist die Verträglichkeit für Mensch und Natur; die Kosten dürfen aber nicht außer Acht gelassen werden, auch im Interesse anderer wichtiger Bahnprojekte.
Der West-Ost-Fernverkehr für Personen und Güter im Raum Rosenheim könnte davon profitieren, dass die Züge auf der Höhe von Pfraundorf über eine neue Trasse direkt entlang der A8 nach Bernau geführt werden. Dies ist jedoch nur dann vorstellbar, wenn ein Ausbau der A8 über 4+2 Spuren hinaus unterbleibt und es zu einer wirksamen Entlastung der Inntalautobahn und der A8 kommt.
Zur Umgehung Münchens für Güterzüge bietet sich der zweigleisige Ausbau, zumindest aber die Elektrifizierung der Strecke Regensburg-Mühldorf-Rosenheim zur Fortführung der Ausbaustrecke Hof-Regensburg an; dies wäre eine kürzere Verbindung als die Umleitung über Freilassing und würde auch Verbesserungen im Personenverkehr ermöglichen.
... und für die Straße
Um den ungehemmten Lkw-Transitverkehr insbesondere im sensiblen Alpenraum wirksam zu drosseln, reicht die Bereitstellung neuer Kapazitäten auf der Schiene keinesfalls aus. Es sind Maßnahmen erforderlich wie:
- Höhere Maut:
Wir brauchen eine flächendeckende Lkw-Maut ähnlich wie in der Schweiz, die auch Umwelt- und Gesundheitskosten in ausreichendem Maß einschließt. Damit würde z. B. der unsinnige Umwegverkehr über den Brenner reduziert, der wegen der günstigeren Maut in Deutschland und Italien gefahren wird. - Einführung einer Alpentransitbörse:
Dabei wird eine begrenzte Zahl von Lkw-Durchfahrtsrechten für einen bestimmten Zeitraum vergeben, die auch handelbar sind. Die Gesamtzahl der Fahrten wird somit gedeckelt; für jede Transitstrecke ließe sich eine eigene Grenze festlegen. - Gerechte Diesel-Besteuerung:
Die Steuersätze müssen in den beteiligten EU-Staaten auf ein gleichmäßig hohes Niveau gebracht werden, um "Tanktourismus" wie am Brenner zu vermeiden. Der ungerechtfertigte Diesel-Bonus sollte aufgehoben werden. - Fairer Lkw-Verkehr:
Dumpinglohn für osteuropäische Fahrer, Überschreitung der Lenkzeit, Überladung, stillgelegte Abgasnachbehandlung: Derartige Gesetzwidrigkeiten verbilligen den Lkw-Verkehr und bringen die Schiene weiter ins Hintertreffen. Wirksamere Kontrollen und härtere Strafen sind notwendig.
Solche Maßnahmen würden auch den Anwohnern im Inntal sofort und besser helfen als eine Milliarden teure Neubautrasse, für die zumindest derzeit kein Bedarf in Sicht ist. Sie dienen auch dem Klimaschutz!
Weitere Informationen
Bis zum Mai 2016 bestand für Bürger und Verbände die Möglichkeit, zum Bundesverkehrswegeplan Stellung zu nehmen, wovon auch der BUND Naturschutz Gebrauch gemacht hat. Im Dezember 2016 wurde der Plan vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Die aktuellen Unterlagen (Stand August 2016) sind in Form des gesamten Bundesverkehrswegeplans und projektbezogen über das Projektinformationssystem (PRINS) einsehbar.
Im Rahmen des Planungsdialogs wurden im Oktober 2016 erste Korridor-Überlegungen für das Inntal veröffentlicht. Diese riefen insbesondere in den Gemeinden östlich des Inns Entrüstung hervor. Aus diesem Anlass gründeten sich einige Vereine und Bürgerinitiativen.
(Stand 6.2.2017 mit kleinen Änderungen, Autoren: S.Storandt, G. Polz, P. Kasperczyk)
Bericht zur Jahreshauptversammlung des BUND Naturschutz am 7.4.2017
Pressegespräch mit Richard Mergner und Pressemitteilung vom 7.4.2017
Links zum Bundesverkehrswegeplan:
PRINS zum Bundesverkehrswegeplan
PRINS zur Bahnstrecke München-Rosenheim-Kiefersfelden-Grenze D/A (2-009-V03)
PRINS zur Bahnstrecke Regensburg-Mühldorf-Rosenheim (2-039-V01)
PRINS zur Bahnstrecke München-Mühldorf-Freilassing (2-008-V02)
Links zum Brennernordzulauf-Planungsdialog von DB und ÖBB:
Erste Korridorüberlegungen (Stand Oktober 2016)
Reaktionen auf die Korridor-Überlegungen:
"Neue Plattform für alle Trassengegner" - Vereinsgründung in Stephanskirchen (OVB 22.12.2016)
"Schutz der Bürger hat höchste Priorität" - Initiativengründung in Nußdorf (OVB 30.12.2016)
"Moor von Brennerzulauf bedroht" - Interessengemeinschaftsgründung in Bad Feilnbach (OVB 7.1.2017)
"Harte Kritik am Bürgerdialog" - Info-Veranstaltung in Stephanskirchen (OVB 11.1.2017)
"Gemeinsamer Nenner geht nicht auf" - Info-Veranstaltung in Raubling (OVB 11.1.2017)
"Gemeinsam stark gegen Pläne der Bahn" - Vereinsgründung in Neubeuern (OVB 14.1.2017)
"Besorgter Blick auf Korridorplanung" - Bürgerversammlung in Nußdorf (OVB 25.1.2017)
"Brenna tuat's beim Nordzulauf" - Widerstand in Riedering (OVB 31.1.2017)
"Werden keine Wahlkampfrede dulden" - Stephanskirchen stützt BI-Forderungen (OVB 4.2.2017)
"Wollen das Beste für unsere Region" - Initiativengründung in Riedering (OVB 6.2.2017)
"Bürger zeigen großes Interesse" - Infoabend der SPD Prutting (OVB 22.2.2017)
"Wir fordern einen Neustart" - Resolution zum weiteren Verfahren (OVB 24.2.2017)
Text der Resolution (rosenheim24 23.2.2017)
Ältere Veröffentlichungen des BUND Naturschutz zum BBT selbst:
Weiter Geld verbrennen für den Brenner-Basistunnel? (BN-Kreisgruppe Rosenheim 2012)
Ausführliche Position zum BBT und zur Zulaufstrecke (BN-Kreisgruppe Rosenheim April 2012)