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Wald unter Klimastress

„Alle zwei, drei Jahre den Jahrhundertsommer, das halten unsere Wälder nicht aus!“ Zur Jahreshauptversammlung der Kreisgruppe Rosenheim des BUND Naturschutz (BN) im Gasthof Höhensteiger zeigte BN-Wald- und Jagdreferent Dr. Ralf Straußberger aus der Langfristperspektive der Forstwirtschaft, dass die Erderhitzung keine Schonfristen mehr erlaubt. Und der 1. Vorsitzende der Kreisgruppe, Peter Kasperczyk, führte dazu aus: „Bei den Antworten die u. a. die Minister Altmaier und Scheuer zum Klimawandel geben, müssten die SchülerInnen auch noch am Donnerstag demonstrieren“.

21.04.2019

Rosenheim, 05.04.2019

„Die Erderwärmung geht viel zu schnell voran!“

Die Klimakrise setzt mit zunehmenden Wetterextremen Bayerns Wäldern und der Waldwirtschaft massiv zu. Nach dem Hitzesommer 2015 folgte bereits 2018 der nächste „Jahrhundertsommer“ mit tropischer Hitze und monatelanger Dürre. Auch in Südbayern sind immer mehr Wälder vom Borkenkäfer geschädigt, in Nordbayern drohen zunehmend Kiefern in größerem Stil abzusterben und die Fichte steht u. a. im Alpenvorland praktisch vor dem Aus. Forstwissenschaftler Straußberger sieht drei essentiell wichtige und wechselseitig abhängige Handlungsfelder: Unverzüglich anzugehen seien national Klimaschutz, regional Waldumbau und lokal die drastische Dezimierung der Rehwildbestände. Sonst „könnten wir unsere Wälder großflächig verlieren“.

1. Eindämmung des Klimawandels: Neben einer naturverträglichen Landwirtschaft braucht es dazu umgehend eine echte Energie-, Verkehrs- und Konsumwende. Gelinge dies nicht, drohe bis zum Jahrhundertende mit einem Temperaturanstieg von mindestens 4 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit (Stand heute: +1 Grad) ein nicht nur die wirtschaftliche Existenz der Waldbauern zerstörendes Chaos. Straußberger zeigt mit Europakarten der Baumarten, dass bei einer so schnellen Klimaerhitzung planvolle Waldwirtschaft nicht mehr möglich wäre. Gascogne-Kiefern etwa, die in Südfrankreich und Spanien bei derart hohen Temperaturen noch gedeihen, könnten wir heute hier (noch) nicht anpflanzen, da sie keinen Frost vertrügen. Auch den Vorschlag, verstärkt Lärchen zu pflanzen, sieht Straußberger skeptisch. Zwar vertrage sie im Gegensatz zu Fichte und Kiefer auch Dürreperioden, doch leider keine wochenlange Hitze mit 40 Grad. Wir seien also auch in Bayerns Forsten darauf angewiesen, dass es gelingt, den Klimawandel bei etwa +2 Grad zu stoppen. Dann gebe es aber sehr gute Chancen, mit artenreichen Mischwäldern nicht nur die Gemeinwohlfunktionen wie Grundwasserschutz oder Feinstaubfilter, sondern auch die wirtschaftliche Existenz der Land- und Forstwirte zu sichern.

2. Großflächiger Waldumbau: Wenn nicht das „Weiter-so“-Szenario mit drei bis über vier Grad Temperaturanstieg bis 2100 die Anpassungsfähigkeit der auf Jahrhunderte angelegten Waldökosysteme überfordert, können artenreiche Mischwälder einer moderat zunehmenden Hitze, längeren Trockenperioden und auch den häufigeren und noch an Stärke zunehmenden Stürmen trotzen. Prädestiniert seien in Bayern Eiche, Buche und Tanne, auf großflächigen Anbau von Douglasie und Co. möchte der BN-Waldreferent nicht bauen. Nicht nur für selten gewordene Holzkäfer- und Spechtarten wichtig wären die inzwischen äußerst selten gewordenen „großen alte Bäume“ sowie generell die Vermeidung von Kahlschlägen und Harvestertrassen als grundwassergefährdende „Vorfluter“. „Bodengleise“ im Abstand von 20 Metern seinen zum Glück seltener geworden, doch leider gebe es immer noch „Holzernte in Industrieplantagen“. Langfristige Effizienz müsste auf den Erhalt von „Biotopbäumen“ achten, da sie auch für robuste Naturverjüngung sorgen können.

Der Realität des Aussterbens der Fichte müssen und können wir uns stellen. Gerade Tannen bringen als Tiefwurzler nicht nur bessere Trocken- und Sturmresistenz. Tannen zeigen Straußbergers Ortsansichten zufolge auch hier im Landkreis Rosenheim oft hervorragende natürliche Verjüngung, die derzeit nur leider fast überall von Reh und Hirsch weitgehend verbissen werde. Der Aufwand für Wildzäune ist insbesondere bei großen Arealen teilweise vergebens und wäre bei den erforderlichen Dimensionen der Waldumbauflächen auch kaum finanzierbar. Daher sei landesweit dem Verbiss mit konsequenter Priorität Einhalt zu gebieten:
 
3. Wald vor Wild: Eine auf weiten Fluren veränderte Landwirtschaft mit einem Überangebot an eiweißreichem Futter, z. B. Mais, biete der Säugetierfamilie der Hirsche (hierzulande v. a. Rothirsch und Reh) heute optimale Vermehrungsmöglichkeit. Die in einer Publikumsfrage zur Wirkung großer Beutegreifer anklingende „Naturfreunde-Hoffnung“ muss Straußberger zerstreuen. In großen Teilen des Spessarts wachse derzeit so gut wie kein neuer Wald aus der Naturverjüngung der Eiche. Ein ähnliches Bild bei der Tanne in Südoberbayern – trotz vielerorts äußerst produktivem Saatanflug. Die großflächigen Verbissschäden, die die im Sommer gemästeten Tiere vor allem im Winter anrichten, könnten leider nur mit hohem Einsatz menschlicher Jäger eingedämmt werden.

Weniger Statussymbole und weniger Konsum

Erfolgreiche Modellprojekte zeigten, dass nachhaltige Naturverjüngung ohne Schutzzäune gelingen kann, wenn man zwischenzeitlich in einem Revier drei Jahre am Stück mit etwa verdreifachten Abschusszahlen operiert. Auch dem aktiven Jäger Straußberger „macht das alles keinen Spaß“. Zum Trost der Hegegemeinschaften konnte aber gezeigt werden, dass auch nach der Dezimierung die jährlichen Jagdstrecken dauerhaft mindestens auf dem Niveau vor der Maßnahme bleiben können und auch müssen. Nur der 16-Ender könne kein Leitbild mehr sein. Verzichten müssten wir als Gesellschaft dem unverzichtbaren Ökosystem Wald zuliebe nicht auf Waidmanns Heil, allerdings tendenziell auf die kapitalen Böcke. Sonst bleibt mit den bereits unvermeidlich heraufziehenden 2 Grad Klimaerwärmung in nicht mehr ferner Zukunft die Waldwirtschaft auf der Strecke, allein schon weil stärkere Stürme in geschwächten Wäldern bei hohen Bergekosten die Holzpreise ins Bodenlose drücken. Von Waldbrandgefahr noch gar nicht zu reden.

Dass es zu all den umgehend erforderlichen Anstrengungen auf dem Land, die einige anwesende Waldbauern aufhorchen ließen, insgesamt einen von der Politik mit klaren Vorgaben gestützten Wandel unseres Lebensstils braucht, fordert nicht nur die auch in Rosenheim aktive Fridays for Future-Schülerbewegung. Auch Straußberger mahnt neben der schnelleren Abkehr von Kohlenstoffverbrennung eine ernsthafte Konsumwende an und macht dies am Beispiel des Papierverbrauchs deutlich: Deutschland allein verbrauche so viel Papier wie die Kontinente Afrika und Südamerika zusammen. Und das liegt in dramatisch wachsendem Maße nicht an Schulbuch und Tageszeitung, sondern an einem Amazon(as) von Verpackungskartons.

Themenschwerpunkte führen zu Wachstumskritik

Die stellvertretende Landrätin Andrea Rosner dankte in einem kurzen Grußwort allen Aktiven, besonders denen, die mit dem Volksbegehren ein machtvolles politisches Signal sendeten. Wichtig sei es auch für Naturschützer, kurze klare Botschaften zu geben. Gerade der bayerische Ministerpräsident habe ein sehr feines Gespür dafür, „wenn der Wind von den politisch Engagierten nicht mehr aufzuhalten ist“. Es gelte nun „gemeinsam Egoismen zu beseitigen“ und der erreichten Oberzielsetzung für Arten- und Klimaschutz auch Taten „jedes einzelnen von uns“ folgen zu lassen, also auch der Ehrengäste, die in ihren Ämtern, Verbänden und Parlamenten elementar-verantwortlich entscheiden über Feuer, Wasser, Luft und Erde.

In seinem Jahresrückblick spannte der 1. Vorsitzende der Kreisgruppe, Peter Kasperczyk, einen Bogen von lokalem Engagement bis zu den großen Fragen der Politik. Wie jedes Jahr durfte Peter Kasperczyk die Vielfalt der Kreisgruppenarbeit aufzeigen: Dialogverfahren zum Brennernordzulauf, Plastikmüll und Mikroplastik, Flächenverbrauch durch umfangreiche Bauprojekte, Umweltbildung und Insektenschutz (mit neu gegründeter Arbeitsgruppe und Volksbegehren „Rettet die Bienen“) zählten wieder zu den wichtigsten Themen. Zu den Landtagswahlen hatte eine erstmals von der Kreisgruppe veranstaltete Podiumsdiskussion mit Vertretern der Landtagsfraktionen u. a. gezeigt, dass Naturschutz heute mit ähnlichen Zwängen wie die Sozialpolitik zu kämpfen hat. Zur Podiumsfrage nach Bodenspekulation (mit Bauernland) hatte die SPD-Vertreterin Alexandra Burgmaier kritisiert, dass Grund heute immer mehr „wie eine Aktie“ behandelt werde. Profit vor Gemeinwohl.

Kasperczyk würdigte neben ehrenamtlichen Naturschützern (z. B. Amphibienretter) und „Profis“ (wie Straußberger und die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle, hier Veronika Maurer heuer 25 Jahre!) 2019 besonders die Schülerinnen und Schüler mit ihren frischen Fragen an die verantwortliche Generation, die nicht mit Lob und Absichtserklärungen spart. Substanzielle Antworten habe zuletzt jedoch nicht die Politik gegeben, sondern die Bürgerinnen und Bürger mit dem vom BN mitgetragenen Volksbegehren „Artenschutz: Rettet die Bienen“. Der überwältigende demokratische Zuspruch bringe nun – hoffentlich! – großflächig wirksamen Artenschutz. Und er eröffne mit endlich offenen Dialogen an Runden Tischen vielleicht auch Wege, den Worten zur Energie- und Verkehrswende Taten folgen zu lassen.

Demgegenüber könnte man bei den Dialogverfahren zu Verkehrsinfrastruktur-Projekten eher von „Pseudo-Bürgerbeteiligung“ sprechen. Stets geht es nur um das Durchschleusen von immer noch mehr Verkehr, um Sinn und Verträglichkeit der Transportleistungsentwicklung nie. Immer nur Trasse und Kasse, obwohl allein schon die komplett verfehlten Klimaziele des Verkehrssektors dies verbieten müssten. Zu den von Verkehrsminister Scheuer vorgestellten Entwicklungsszenarien des Brennerverkehrs bis 2050 widerlegen die Analysen der Kreisgruppe die behauptete Alternativlosigkeit zusätzlicher Trassen: „Eine Reduzierung des LKW-Verkehrs und auch eine Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene könnte mit politischem Willen erreicht werden, ohne dass im Inntal ein 3. und 4. Gleis neu gebaut werden muss. Ein wirksamer Schutz von Mensch, Umwelt und Natur hier und anderswo ist nur mit einer Begrenzung des Verkehrswachstums möglich“.

Wenn Verkehrswachstum für sich längst zum Problem geworden ist, dürfen immer neue Straßen und Trassen also nicht mehr als unvermeidliche Lösung gelten, so Kasperczyks Fazit. Nicht auf der dritten Erdinger Startbahn, nicht auf der 4. Schienentrasse durchs bayerische Inntal und nicht auf der sechsten Autobahnspur durch den Chiemgau.

Kasse und Klasse: Ehrung Sepp Baumgartner

Auch dank vieler Zehntausend Euro, die Sepp Baumgartner in Kiefersfelden über die Jahrzehnte sammelte, kann Schatzmeister Klaus Jordan fast jedes Jahr einen ausgeglichenen Haushalt präsentieren, so auch heuer. Für seine langjährige aktive Arbeit in Kreisvorstand und Ortsgruppe wurde Sepp Baumgartner mit der silbernen Ehrennadel ausgezeichnet. Bewusst ohne Sponsoring finanziert der BN seine – oft notgedrungen – auszubauenden Aktivitäten nur über Mitgliedsbeiträge und Spenden. So können es sich nicht nur Verbandsspitze und Fachgeschäftsstellen, sondern auch vor Ort die Kreis- und Ortsgruppen leisten, immer wieder auch gegen Mächtige und naturzerstörerische Interessen zu kämpfen. Die Mitgliederzahl konnte mit 6484 auf dem hohen Niveau des Vorjahrs (6428) gehalten werden.

Umweltbildung fördert Artenvielfalt

Das Bewusstsein für Artenvielfalt ist ein Kernthema der BN-Kreisgruppe. Umweltbildungsreferentin Ursula Fees rät in ihren Vorträgen zu strukturreichen Gärten und „Mut zu einer gewissen Unaufgeräumtheit“. Spätere Mahd sei gut für Hummeln, „Wildbienen im Pelz“. Und viele an Rändern und Brachen rasch sprießende Ruderalpflanzen seien kein Unkraut, sondern Multitalente, die Insekten Schutz und Nahrung bieten.
 

Für Rückfragen und weitere Informationen:

Theo Schneider
Tel. 08063 9738111
E-Mail: ct.schneider (at) web.de

1. Vorsitzender
Peter Kasperczyk
Tel. 08031 12882
E-Mail: rosenheim (at) bund-naturschutz.de

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