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Wasserburg am Inn

Bericht zum Infoabend „Digitale Medien – Faszination mit Nebenwirkungen“ am 23.4.2015 im Landratsamt Ebersberg

Digitalisierung mit Nebenwirkungen

Jugend hängt am Smartphone

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen sie fast nichts in den Medien und daher fragen sie auch nicht ihren Arzt oder Apotheker – etwa zu Schlafstörungen oder Konzentrationsproblemen in der Schule. Viele fragten jedoch am 23.4.2015 ihren Landrat. Über 200 Schüler, Lehrer und Rektorinnen waren ins Landratsamt Ebersberg gekommen zum Infoabend „Digitale Medien – Faszination mit Nebenwirkungen“. Mit Beispielen und Fakten belegten die Experten, dass die heute bei Jugendlichen übliche permanente Internetverbindung immer öfter kontraproduktiv ist für nachhaltige Bildung - und wegen der unterschätzten Strahlenbelastung langfristig auch für die Gesundheit.

In Zusammenarbeit mit Diagnose-Funk e.V. und BUND Naturschutz-Landesverband/Arbeitsgruppe Mobilfunk hatte das Landratsamt Ebersberg drei Bildungsexperten als Referenten gewonnen, die das Mediennutzungsverhalten von Schülern aus der Praxis kennen.

Bequemlichkeit und Gruppendruck zwängen typische Fünftklässler heute, rund um die Uhr mit ihrem Smartphone online zu sein, sagte der Medienökologe Uwe Buermann. Wenn man aber im Tagesdurchschnitt alle 6 Minuten die Nachrichten auf seinem Mobilteil checke, wie solle man sich da noch aufs Lernen konzentrieren? Selbst nachts schreckten Jugendliche aus Tiefschlafphasen auf, weil die Angst etwas zu verpassen bereits im Unterbewusstsein sitze. Der von vielen jungen „WhatsApp“-Dauernutzern verinnerlichte Alarmmodus verhindere damit nicht nur die gesunde Regeneration, er störe auch den Übergang der tagsüber im Kurzzeitgedächtnis gemerkten Lerninhalte ins Langzeitgedächtnis. Die permanente Verfügbarkeit von Informationen lasse die Motivation fürs Merken ohnehin sinken. Und die unschlagbare Bequemlichkeit verhindere die kritische Auseinandersetzung mit steigendem Stress in Sozialbeziehungen, wenn eine nicht innerhalb weniger Minuten beantwortete WhatsApp-Nachricht einen nicht mehr zu stoppenden „Shitstorm“ auslösen könne.

Free WLAN contra Jugendschutz

Referent Buermann, von Beruf Lehrer, weist Eltern und die für den Jugendschutz Verantwortlichen auf ein zentrales Unverständnis hin. Erwachsene würden Smartphones immer noch als Handy mit Google-Funktionen begreifen. Jugendliche seien damit aber permanent „unter Strom“ und überall ungeschützt im Internet. Krasses Beispiel: Öffentliches WLAN sei bequem und werde als Wettbewerbsfaktor im Stadtrat begrüßt. Jedenfalls ein Tourismus-Muss. Nebenwirkung sei allerdings, dass dafür der Jugendschutz praktisch aufgegeben werde. Denn de facto habe damit via Smartphone jeder 10-Jährige Zugriff auf Hardcore-Pornos und Schockbilder, etwa von „IS“-Enthauptungsvideos. Weil auch Kinder wüssten, dass das kein Film ist, sondern „echt“, würden sie sich die Szenen gegenseitig zeigen, um als hart und cool zu gelten – oft aber auch, um die eigene Traumatisierung durch „Teilen“ abzumildern. 

Chancen und Burnout

Schuldirektor Rüdiger Modell, Gymnasium Vaterstetten, referierte über die Chancen des gezielten Einsatzes digitaler Medien im Rahmen eines auch auf kritische Reflektion abzielenden Lehrplans. Ausgewogenheit, Sachlichkeit und Lernbereitschaft bei Referenten, Veranstaltern und Publikum im überfüllten Hermann-Beham-Saal trugen dazu bei, dass die Presse jenseits des üblichen Tenors: „Mobbing-Gefahren kennen und bei Facebook auf die Freigabe-Einstellungen achten, dann passt’s schon irgendwie - denn aufhalten ließe sich eh nichts…“ berichtete.

Der scheinbar unausweichliche internationale Konkurrenzdruck zwingt Regierungen, die Augen vor den Nebenwirkungen zu verschließen und möglichst Vollgas zu geben bei der Digitalisierung. Die Chancen digitaler Medien werden hoch und die Risiken gering geschätzt – oder ganz ignoriert. Bildungspolitik im Blindflug. Digitalisierungsoffensiven und beispielsweise Schenkungen von Tablets durch eine wohlmeinende Sparkasse sind in den Schulen fast immer willkommen – eben auch, weil der Stand unabhängiger Forschung kaum bekannt ist. Die Verantwortlichkeit will man lieber bei den höheren Ebenen belassen.

Mit diesem von Landrat Niedergesäß vorbildlich geleiteten Info- und Diskussionsabend, fand auch das Thema „Mobilfunkstrahlung – eine unterschätzte Gefahr für Kinder und Jugendliche“ eine ausführliche Behandlung.

Wichtige Erkenntnisse, die in den Medien nur sehr selten zu lesen sind, lieferte Dr. Klaus Scheler (Uni Heidelberg, Physiker und Dozent für Lehramt/Lehrerfortbildung): Mobilfunkstrahlung wirke meist nicht unmittelbar und werde in seiner Langzeitwirkung unterschätzt, weil die kurzfristigen Wirkungen (auf Zellen und Organkommunikation) durch vom gesunden Körper aktivierte Abwehrmechanismen (Hormonhaushalt etc.) kompensiert werden können; auf lange Sicht kann dieser (Zell-)Stress aber zur Erschöpfung dieser Abwehrkräfte führen (Burnout-Syndrom u.a.). Für Gesundheit schädigende Wirkungen bis hin zur Krebspromotion lägen aus einer Vielzahl wissenschaftlich anerkannter Studien „konsistente Hinweise“ vor. Zum „wissenschaftlichen Beweis“ fehle allerdings noch der vollständig verstandene „Wirkmechanismus“. Ein solcher existiere aber auch immer noch nicht für die Schadwirkung von UV-Strahlung. Kein Gesundheitsverantwortlicher käme jedoch darauf, Sonnenbrandrisiken (Melanome, die Haut vergisst nicht‘) als eingebildet und Hautkrebsvorsorge als unbegründet zu propagieren. Scheler sieht die Zukunft der Drahtloskommunikation in der „Visible Light Communication“, Datenübertragung per Licht. An Licht sei der menschliche Körper seit Jahrmillionen adaptiert, dagegen würden Mikrowellen als Träger des Mobilfunks zunehmend zur Störstrahlung.

Der BN würde es begrüßen, wenn eine ähnliche Veranstaltung für die Schulen in Stadt und Landkreis Rosenheim stattfinden würde, die dazu beitragen könnte, in einer offenen Erörterung auch aller Risiken die langfristig besten Chancen zu erkennen.

Theo Schneider
BUND Naturschutz
Kreisgruppe Rosenheim
Arbeitsgruppe Mobilfunk - BUND Naturschutz in Bayern e.V.

 

Weiterführende Informationen zur Veranstaltung:

Informationen über die Veranstaltung vom Landratsamt Ebersberg:
http://www.bildungsregion-ebersberg.de/Aktuelles.aspx?view=/news/archiv&orgid={FC4423DB-8D3E-4AD1-97C0-7D6FC54FEBC3}

Bericht in der Süddeutschen Zeitung:
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/ebersberg/schueler-im-landkreis-wischkompetent-1.2456363

Bericht im Münchner Merkur:
http://www.merkur.de/lokales/ebersberg/ebersberg/handy-soziales-minenfeld-4940649.html