TTIP neu verhandeln!
„Das Zustandekommen von TTIP ist von Anfang an völlig falsch gelaufen und sollte deshalb nochmal von vorne beginnen.“ Das war die Kernaussage von Richard Mergner, dem Landesgeschäftsführer des Bundes Naturschutz, der sich im vollbesetzten Sparkassensaal mit dem Handelsabkommen zwischen der EU und den USA auseinandersetzte.
So bestand bei den Verhandlungen von Anfang an ein eklatantes Missverhältnis von Industrielobbyisten und Vertretern der Zivilgesellschaft, wie Gewerkschaftler, Sozial- oder Umweltverbänden von 20 zu 1, die als Berater der EU Kommission fungierten. Sehr zum Misstrauen der Bevölkerung hat die absolute Geheimhaltung beigetragen. Wenn man Rücklichter, Crashtests und Zulassungsverfahren für Autos vereinheitlichen will, so Mergner, muss man nicht gewählten Abgeordneten demokratischer Länder Handys und Fotoapparate abnehmen, bevor sie in geschützten Lesesälen unter Aufsicht ein bisschen Einblick in Verhandlungsunterlagen nehmen dürfen, die potentiell die Zukunft ganzer Gesellschaften betreffen. Die europäischen Staaten haben die Verhandlungen mit den USA völlig in die Hand einer EU Kommission gegeben und zugestimmt, dass das Vertragswerk von den europäischen Parlamenten im Ganzen nur mehr gebilligt oder abgelehnt werden kann; Veränderungen in Einzelpunkten sind nicht möglich.
Zölle abzubauen sei zwar zu begrüßen, kann aber auch sehr problematisch sein, wenn die heimische Wirtschaft gegen marktbeherrschende „Globalplayer“ dann überhaupt keine Chance mehr habe und damit Arbeitsplätze verloren gingen. Beim Abbau von Handelshemmnissen sei genau hinzuschauen, welches Hindernis hier gemeint sei, z.B. die Kennzeichnungspflicht. So sei durchgesickert, dass der deutsche Verbraucher in Zukunft nicht mehr sicher sein kann, ob das, was auf der Verpackung steht, auch wirklich drin ist: Westfälischer Schinken produziert vielleicht in Zukunft in Connecticut und Nürnberger Bratwürste in Chicago?
Standards, z. B. bei Arbeitsbedingungen, Tier- und Umweltschutz sollen zwischen der EU und den USA angeglichen werden. Es sei in vielen Fällen aber zu befürchten, dass man sich nicht auf den höheren, sondern auf einen Kompromiss einigen wird.
Völlig unvereinbar mit unserer Rechtsauffassung sei es, dass Streitfälle zwischen Staaten und Investoren von privaten Wirtschaftsanwälten entschieden werden sollen und gegen deren Beschluss auch keine Revision möglich sei.
Mergner betonte, dass auch Städte und Gemeinden durch TTIP in ihrer Selbstverwaltung beschränkt wären, wenn auch kommunale Dienstleistungen dem privaten Markt geöffnet werden. Vom Trinkwasser bis zum Gesundheitswesen, alles stehe dann auf dem Prüfstand der Deregulierung. Ein Wust von Bürokratie käme auf die Kommunen zu, wenn dann große Aufträge nicht nur europa- sondern sogar amerikaweit ausgeschrieben werden müssten. Der Wegfall der Preisbindung im Buchhandel würde das sichere Ende der kleinen Buchgeschäfte bedeuten.
Die Befürworter von TTIP argumentieren immer wieder mit steigenden Exportchancen, denn dadurch entstünden neue Arbeitsplätze und wachsender Wohlstand. Nach Untersuchungen unabhängiger Institute wird z. B. die Autoindustrie profitieren, die Landwirtschaft dagegen verlieren, da viele Betriebe mit der amerikanischen Massenproduktion nicht konkurrieren können. Per Saldo wird es keinen Arbeitsplatzzuwachs geben. Mergner wies daraufhin, dass Deutschland 2014 auch ohne TTIP Güter im Wert von 211 Milliarden € mehr ex- als importierte und damit Weltmeister im Exportüberschuss ist. Große internationale Industrieunternehmen werden im deregulierten Markt die großen Gewinner, der Mittelstand – mit wenigen Ausnahmen – der Verlierer sein.
Nach dem mit viel Beifall bedachten Referat wurde in der Diskussion u. a. die Hoffnung geäußert, dass einige Mitgliedsstaaten der EU das Handelsabkommen ablehnen und – da Einstimmigkeit nötig sei – die Verhandlungen neu beginnen müssten.