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Wasserburg am Inn

Digitalisierung: Bayern hinterm Monde?

Dezember 2021
Zur Absage der Info-Veranstaltung „5G-Mobilfunk – Digitalisierung & Smart City – Chancen und Risiken für Mensch, Umwelt und Demokratie“ hatten wir im Beitrag unter AKTUELLES [1] kritisiert, dass die Schattenseiten in den demokratischen Diskursen auf allen Ebenen bislang zu kurz kommen, speziell das Problem der hohen Energie- und Ressourcenbedarfe. Kurz: „Digital first – Bedenken second“ [2]. Im Folgenden möchten wir die Argumente zum „Ökologischen Fußabdruck“ noch (mit diversen Quellen) vertiefen und vor dem Hintergrund der gescheiterten Podiumsdiskussion auf hierzulande bestehende Defizite in der Vorsorgepolitik bezüglich Mobilfunkstrahlung hinweisen.

„Brandbeschleuniger“ Digitalisierung?

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hatte bereits 2019 im Gutachten „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ vor kontraproduktiven Entwicklungen nicht nur in der Klimakrise gewarnt: „Ohne aktive politische Gestaltung wird der digitale Wandel den Ressourcen- und Energieverbrauch sowie die Schädigung von Umwelt und Klima weiter beschleunigen.“ [3] Die zu befürchtende „Brandbeschleunigung“ für die beiden wissenschaftlich anerkannten Menschheitsbedrohungen Klimaerhitzung und Artensterben zieht sich durch das ganze Gutachten und enthält gerade auch aus Sicht des Naturschutzes wichtige Fragen, etwa zu „smart farming“ (Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in der Landwirtschaft bis hin zu autonom fahrenden Traktoren oder Kleinrobotern, die quadratmetergenaue Datenbankinformationen abrufen und speichern):

S. 31: „Nur wenn es gelingt, die digitalen Umbrüche in Richtung Nachhaltigkeit auszurichten, kann die Nachhaltigkeitstransformation gelingen. Digitalisierung droht ansonsten als Brandbeschleuniger von Wachstumsmustern zu wirken, die die planetarischen Leitplanken durchbrechen.“

S. 34: „Es mangelt zwar nicht an rhetorischen Bezügen, insbesondere durch die Anwendung des Begriffs „smart“ auf jedes klimafreundlich zu transformierende Teilsystem der Industriegesellschaft: Smart Grids, Smart Cities, Climate-smart Agriculture usw. Die digitalen Ressourcen und Projekte werden jedoch bisher überwiegend für konventionelles Wachstum auf etablierten Märkten im internationalen Wettbewerb eingesetzt. Sinn und Zweck des digitalen Fortschritts in diesen Zusammenhängen ist nicht in erster Linie die Nachhaltigkeit; Aspekte wie Unterhaltung, Bequemlichkeit, Sicherheit und nicht zuletzt kurzfristige finanzielle Gewinne dominieren. Im Großen wirken Digitalisierungsprozesse heute eher als Brandbeschleunigerbestehender nicht nachhaltiger Trends, also der Übernutzung natürlicher Ressourcen und wachsender sozialer Ungleichheit in vielen Ländern.“

S. 80: „Wirkt Digitalisierung als Brandbeschleuniger oder als mächtiges Instrumentarium für die Zielerreichung der Agenda 2030? In wessen Interessen werden „intelligente“ Systeme konzipiert und angewendet, wer kontrolliert ihre Anwendung und vor allem: Wer wird durch ihre Anwendung kontrolliert oder manipuliert?“

S. 225: „Klima- und energiepolitische Rahmenbedingungen stärken: Ohne klare Richtlinien kann die Digitalisierung als Brandbeschleuniger des steigenden Energie- und Ressourcenbedarfs sowie der Treibhausgasemissionen wirken.“ […]Wenn Milliarden neue Geräte in den kommenden Jahren vernetzt werden, wird die Energienachfrage von Datenzentren und Übertragungsdiensten steigen.“ (S. 408)

S. 315: „Die Digitalisierung könnte sogar als Brandbeschleuniger von Wachstumsmustern wirken, die bereits die Übernutzung natürlicher Ressourcen und wachsende soziale Ungleichheit in vielen Ländern antreiben.“

S. 378: „Des Weiteren besteht die Gefahr, dass die Steigerung der globalen Lebensstandards in Zusammenspiel mit den technischen Möglichkeiten der Digitalisierung zu einer weiteren Intensivierung der Landwirtschaft mit der großskaligen Verwendung von Agrarchemie und entsprechenden Zusammenbrüchen von Insekten- und Vogelpopulationen führt (Kap. 5.2.9.3). Die Landwirtschaft wird für 70 % des erwarteten Verlusts der biologischen Vielfalt an Land verantwortlich gemacht ([…]. Erhöhte Förderung fossiler Ressourcen hinterlässt nicht nur einen ökologischen Fußabdruck durch mehr Öl- und Gasbohrtürme sowie Kohlegruben, sondern vor allem auch durch beschleunigten Klimawandel und Ozeanversauerung. Förderung mineralischer Rohstoffe drückt sich in mehr Bergwerken, Tagebauen und künftig auch im Tiefseebergbau aus, mit entsprechenden Verlusten biologischer Vielfalt. In ihrer Gesamtheit und Gleichzeitigkeit kann die Digitalisierung indirekt also als Brandbeschleuniger der Biodiversitätskrise wirken.“

 

Wie bei jeder innovativen technologischen Entwicklung hängt auch die ökologische Auswirkung davon ab, wofür die Entwicklung eingesetzt wird. Für die Vermeidung von Energieverbrauch und Materialdurchsatz oder für immer noch mehr Bequemlichkeit und Konsum. Derzeit setzt die Umweltpolitik vor allem auf Energie-Effizienz und nährt die Hoffnung auf „klimaneutrales Wachstum“, wobei in beschleunigter Digitalisierung vor allem Chancen gesehen werden. Immerhin konnte in jüngster Zeit dank Effizienzgewinnen in den Serverzentren die Behauptung widerlegt werden, die vor allem durch mobiles Internet enorm wachsenden Datenmengen ließen die Energiebedarfe explodieren. [4] Tendenziell vernachlässigt wird jedoch der steigende Ressourcenverbrauch [5], etwa für metallische Rohstoffe, aber auch ganz banal für Zellstoff. Deutsche Verleger beklagten auf der Frankfurter Buchmesse 2021 Papierknappheit, weil eine große schwedische Papierfabrik komplett auf (Amazon-) Kartons umgestellt hatte. So wird die durch weniger Printmedien bewirkte Einsparung teilweise wieder zunichte gemacht.

Wachsender Energie- und Ressourcenverbrauch ist in keinem Sektor, und damit auch nicht in den scheinbar alternativlos wachsenden Informations- und Kommunikationstechnologien, mit den strategischen Nachhaltigkeitszielen vereinbar. Es wird auf die tatsächlichen Salden und nicht auf die reinen Hoffnungen und smarten Versprechen ankommen. Nach einer vom Deutschen Naturschutzring veröffentlichten Arbeit des Europäischen Umweltbüros steht der Existenzbeweis von „Grünem Wachstum“ auf volkswirtschaftlicher Ebene weiterhin aus [6].

Wie bei allen Ressourcen-Investitionen in neue Infrastruktur müsste insbesondere auch der Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes, das die Datenvolumina noch einmal potenzieren soll, einer nachvollziehbaren Schätzung zu erwartender Salden unterzogen werden. Ebenso Pflicht wäre, vor dem Startschuss eines flächendeckenden „Rollouts“ über Felder und Wohngebiete eine qualifizierte Technikfolgenabschätzung der biologischen Wirkungen vorzulegen. Eine BUND-Resolution (Delegiertenversammlung) hatte eine solche bereits 2018 gefordert [10]. Gemäß aktueller Analyse des Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Hans-Jürgen Müggenborg ist dies bisher nicht geschehen [7].
Ziel der Ampelkoalition ist jedenfalls „die flächendeckende Versorgung mit Glasfaser und dem neuesten Mobilfunkstandard“. Die Begriffe „Strahlung“ oder „Vorsorgeprinzip“ kommen auf 177 Seiten Koalitionsvertrag nicht vor. Digitalisierung wird im Bereich Nachhaltigkeit praktisch ausschließlich als Chancenfeld gesehen, was laut Wiener oder auch Baden-Württembergischer Ärztekammer (s.u.) jedoch nur für die strahlungsfreie Glasfaserverbindung gelten dürfte.

Die ohne ökologische und biologische Rahmensetzung quasi bedingungslose Förderung der vor allem funkbasierten Digitalisierung steht im Widerspruch zum WBGU-Gutachten, das eindeutig eine „politische Gestaltung“ der Wachstumstreiber gefordert hatte. So ist zu befürchten, dass digitale Technologien entgegen den „smarten Versprechen“ und Vorzeigeprojekten per saldo keine Hilfe in Sachen Klimaschutz und Gesundheitsvorsorge sind.

Fakten vs. Meinung?

Da in dem „Brandbeschleuniger?“-Gutachten sogar Club of Rome-Mitglieder wie Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber und Prof. Dr. Maja Göpel publizieren, dürften wir deren kritische Punkte in Sachen „Digitalisierung“ nicht einfach als Meinung abtun. Nicht Fakten-basierte „Meinungen von Nichtwissenschaftlern“ waren den Veranstaltern des Rosenheimer Diskussionsabends mehrfach als Ablehnungsgrund eingeladener Regierungsvertreter genannt worden, weil solche „bloßen Meinungsäußerungen“ auf einem gemeinsamen Podium mit anerkannten Expert*innen eine unverdiente Aufwertung erfahren hätten. Staatliche Stellen wollten für den 17.11. eine „false balance“ vermeiden. Falsch wäre es, so ihre Aussage, wenn fachfremde Kritiker aus der Zivilgesellschaft neben Vertretern der Exekutive auf einem öffentlichen Podium säßen, so dass deren Argumente ebenso bedeutend erscheinen könnten wie die Positionen der von den Behörden anerkannten Wissenschaft.

Vor allem in Sachen biologische Wirkungen von Mobilfunkstrahlung würde laut den Gesundheitsbehörden auch jegliches Risiko umfassend erforscht, so dass es einer auch personell kontroversen Gegenüberstellung von Pro und Contra nicht bedürfe. Eine vertiefende Neuauflage der Vorbildveranstaltung des Landratsamtes Ebersberg [14] mit „Faktencheck“ der dort offen gebliebenen Fragen kam damit in Rosenheim auch 2021 nicht zustande, nachdem der Infoabend „5G-Mobilfunk und Smart City – Fortschritt für wen?“ im April 2020 coronabedingt verschoben werden musste.

Eine ehrliche Erörterung auch der Risiken und Nebenwirkungen der als alternativlos geltenden digitalen Transformation findet hierzulande kaum statt. Speziell Bayern hinkt der notwendigen Entwicklung – eben auch von Problembewusstsein – hinterher, wie schon dieser kurze Blick über den Tellerrand zeigt:

Mobilfunk und Gesundheit:

  • Empfehlungen der Landesärztekammer Baden-Württemberg (2021)
    Die Landesärztekammer Baden-Württemberg gab im Oktober eine Stellungnahme mit Empfehlungsliste für einen verantwortungsvollen Umgang mit Mobilfunktechnologien heraus. Darin fordern Ärzte u.a. „Neufassung der Grenzwerte auf der Basis medizinisch-biologischer Kriterien, […] Anstreben einer geringstmöglichen Zahl von „Funkmasten“ und gemeinsame Nutzung von Funkmasten durch verschiedene Betreiber;
    an öffentlichen Einrichtungen, insbesondere an Schulen: Bevorzugung von LAN-Verbindungen oder neuerer technischer Alternativen. W-LAN muss leistungsgeregelt sein, bei Nicht-Gebrauch (automatisch) ausgeschaltet werden; Intensivierung von Information/Aufklärung, Anleitung insbesondere von Familien, Kindern und Jugendlichen zu Risiken/die Gesundheit möglichst gering schädigender Nutzung digitaler Techniken;
    keine Nutzung von Mobilfunkgeräten in „abgeschirmten“ Einheiten, wie Auto, öffentlichen Verkehrsmitteln […], zuhause Nutzung möglichst schnurgebundener Systeme (LAN) – Meiden von DECT-Standardgeräten;
    insgesamt zurückhaltende, eng zeitlich begrenzte Mediennutzung durch Kinder, überwiegend begleitet von ihren Eltern, unbegleitete Nutzung von Smartphones erst ab dem Alter von 12 Jahren …“ [12a].
  • „Handyregeln“ der Wiener Ärztekammer (2015):
    Das „GELBE PLAKAT“ mit den zehn Handyregeln ist mittlerweile als Klassiker der Vorsorgeaufklärung bekannt, allerdings kaum in Bayern.
    Die Strahlung von „HANDYS“ respektive Mobiltelefonen ist möglicherweise nicht so ungefährlich, wie von den Mobilfunkbetreibern immer wieder behauptet wird. Deshalb hat sich die Wiener Ärztekammer in verantwortungsvoller Weise dazu entschlossen, die österreichische Bevölkerung aus medizinischer Sicht über die Möglichkeit negativer Auswirkungen entsprechend zu informieren.
    10 medizinische Handyregeln
    Prinzipiell gilt: So wenig und so kurz wie möglich telefonieren – Festnetz verwenden ...
    Zu Hause und am Arbeitsplatz über das Festnetz telefonieren – Internetzugang über LAN-Kabel (z.B. via ADSL, VDSL, Glasfaser) strahlt nicht, ist schnell und datensicher. Dauerstrahlende DECT-Schnurlostelefone, WLAN-Access-Points, Datensticks und LTE-Homebasis-Stationen (Box, Cube etc.) sollten vermieden werden! Gehen Sie öfter offline oder verwenden Sie den Flugmodus …“ [12b]

Kritiker einer vorwiegend über Mobilfunk vorangetriebenen Digitalisierung müssten also nicht nur „Argumente vorbringen, die sie gar nicht belegen können“. Auf ihre Fragen hätten sie Antworten der Behörden jenseits von Textbausteinen verdient. „Die Grenzwerte schützen“ ist wissenschaftlich korrekt nur in Bezug auf die Erwärmung von Zellen. In Bezug auf Neurobiologie und Zellchemie („oxidativer Stress“) sind sie, z.B. auf Studienbasis der aktiv an Mobilfunkrisiken Forschenden Prof. Dr. med. Wilhelm Mosgöller und Prof. Dr. med. Michael Kundi oder auf Basis der Bewertung der Forschungslage durch Prof. Dr. med. Dr. Ing. Hans-Peter Hutter (alle Med. Univ. Wien) als um Größenordnungen zu hoch zu erkennen [9]. Auch Laien kritisieren daher nicht ohne wissenschaftliche Argumente die „mondhohen Grenzwerte“.

Zum (leider nur bezüglich Podiumsbesetzung weniger brisanten) Thema Klimakrise wäre zu fragen: Steht „digitaler Realismus“ auf Klimakonferenzen oder vielleicht bei Fridays for Future Rosenheim auf der Agenda? Oder vielleicht in den Kommunen, die Klimaziele haben, aber noch kein Mobilfunkkonzept wie z.B. seit August 2021 die Gemeinde Siegsdorf? [8]

Als letzter „Blick über den Tellerrand" wäre auch noch dieser Presseartikel aus Frankreich eine Diskussion wert, inwieweit ein beschleunigtes Wachstum von Speicherdaten von den derzeit beobachteten Effizienzgewinnen aufgefangen werden kann:
"Klimakiller Tiktok. Die Ökosünden der Digitalindustrie". Der Beitrag der Le Monde diplomatique stützt trotz einiger Schwächen die kritische These, wonach die Digitalisierung als Geschäftsmodell der Industrie und als Wachstumshoffnung der Politik den Klimazielen zuwider läuft. Ohne dass dies auf Konferenzen wie zuletzt in Rom (G20) oder in Glasgow (COP26) erwähnt würde. [13]

Digitaler Realismus und Dialog wären gefordert

Statt den Versprechen einer bedenkenlos „schönen neuen Welt“ zu vertrauen, müsste die Ökobilanz der digitalen Transformation in jedem Sektor Gegenstand eines offenen demokratischen Diskurses sowie rahmensetzender Maßnahmen der neuen Bundesregierung werden. Mit Verweis auf unabhängige Forschung zu Gesundheitsrisiken von Mobilfunkstrahlung und angesichts der Klimakrise sowie der Plünderung planetarer Ressourcen (von Heuberg bis Kongo und Amazon) fordert der BUND Naturschutz Rosenheim:

  1. „Ökologischen Fußabdruck“ beachten!
    Vor dem Start eines Infrastrukturprojekts, egal ob A8- oder Datenautobahn, ist der ökologische Fußabdruck mit Materialdurchsatz und CO2-Ausstoß zu ermitteln. Es gilt der Vorbehalt der Klima- und Artenschutz-Ziele.
  2. Vorsorgeprinzip bei Mobilfunkstrahlung anwenden!
    Strahlungsminimierung unabhängig von den seit den 1990er-Jahren nicht mehr angepassten Grenzwerten, Risikoaufklärung insbesondere in den Schulen; mit Priorität den Glasfaserausbau vorantreiben und für (zeitlich) längere Internetverbindungen stets Kabelverbindungen bevorzugen.
    Auch das aktuelle Positionspapier der Naturfreunde Deutschlands e.V. fragt „Ist 5G tatsächlich der einzige Weg zu schnellem Internet?“ [11]
  3. Demokratische Dialoge in den Regionen
    Problembewusstheit ist die Voraussetzung für Veränderung. Alternativen-Bewusstsein ist das Wesen von Demokratie. Demokratische Diskurse und Dialogformate gilt es auch bei der Gestaltung der Digitalisierung bis in die kommunale Ebene hinein zu fördern.

Aufgeschoben, nicht aufgehoben

Am 17.11.2021 hätte man – wie oben mit Belegen angeführt – faktenbasiert die Frage stellen können: Haben wir als Zivilgesellschaft und haben die eingeladenen Behörden seit dem WBGU-Gutachten 2019 die darin aufgezeigten ökologischen Risiken der „digitalen Transformation“ in Politik und Medien bereits hinreichend erörtert?

Die nachfolgend noch einmal aus dem Programm zitierte, für 17.11.2021 geplante Podiumsveranstaltung musste auf 2022 verschoben werden, bleibt aber (evtl. auf zwei Termine aufgeteilt) vollumfänglich relevant:
„5G-Mobilfunk – Digitalisierung & Smart City – Chancen und Risiken für Mensch, Umwelt und Demokratie
Alle Kommunen, Straßen und Autobahnen sollen mit 5G-Netzen und tausenden WLAN-Hotspots lückenlos vernetzt werden. In Kommunen könnte alle 100 Meter ein 5G-Sender installiert werden –für die Pläne der Autokonzerne zum autonomen Fahren, für die Erfassung Millionen neuer Haushaltsgeräte des Internets der Dinge. Homeoffice, Homeschooling und "Distanzbeziehungen" in der Pandemie zeigten uns zuletzt, wie abhängig wir von stabilen Internetverbindungen sind. Fehlte es in der Pandemie an Mobilfunk oder am Glasfasernetz? Sollen wir alle permanent online sein?
Sämtliche Vorgänge der Gesellschaft sollen über Daten und Algorithmen gesteuert werden. Die hochfrequenten Mikrowellen des Mobilfunks der 5. Generation haben eine geringere Reichweite und durchdringen Baumasse nur schlecht, weshalb Sendeanlagen wohnungsnah, z.B. an Laternen und auf Verteilerkästen installiert werden. Gibt es Alternativen? Was ist zu tun? Wer entscheidet?
Digitalisierung! Zauberwort und Totschlagargument: Wer nicht mithält, landet wirtschaftlich auf dem Abstellgleis – so zumindest schwören Berater und Verbände Politik, Medien und Gesellschaft auf den beschleunigten Ausbau u.a. der Mobilfunkinfrastruktur ein. Wo aber findet die notwendige öffentliche Debatte über die daraus folgenden Ökologischen Fußabdrücke statt? Und so stellt sich auch vor dem Hintergrund des Klimawandels die Frage: Wie passen Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammen?
Mit Referenten beider Positionen sowie einer regionalen BürgerInnenvertretung werden wir […] uns dem komplexen Thema in einer Podiumsdiskussion annehmen.“

Da das in Rosenheim 2021 geplante Format eines Podiums mit Pro und Contra vor 14 Monaten im Landratsamt Ebersberg sehr erfolgreich gewesen war (und von Moderation und Auditorium durchaus als „well balanced“ empfunden wurde), können wir bis zu einer Podiumsveranstaltung in Rosenheim auf die dort umrissene Gesamtthematik verweisen [14].

T. Schneider

 

Anmerkungen, Quellen und weitere Links

[1]
LINK ZUM AKTUELLES-BEITRAG „Brandbeschleuniger Digitalisierung?“: https://rosenheim.bund-naturschutz.de/aktuelles/artikel/brandbeschleuniger-digitalisierung

[2]
Der Slogan "Digital first – Bedenken second!" stammt aus der Wahlkampagne 2017, FDP-Chef Christian Lindner verwendet ihn heute nicht mehr. „Mobilfunkkritiker“, etwa aus Rimsting oder Neubeuern hätten am 17.11. bei (hygienisch sicherer) Online-Teilnahme im Chat-Kommentar fragen können: „Wann fand zuletzt im Bundestag eine Debatte über Risiken und Nebenwirkungen statt?“ "Denken first, Digitalisierung second" wäre vielleicht ein konsensfähiges Motto der Veranstaltung gewesen.

[3]
WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2019): Unsere gemeinsame digitale Zukunft. Berlin: WBGU (ISBN 978-3-946830-02-3) https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/unsere-gemeinsame-digitale-zukunft
Das Zitat stammt aus dem Fazit auf Seite 517.

[4]
Der Elektrotechniker Prof. Josef Lutz (TU Chemnitz) im Jahr 2017: "Im Jahr 2006 wurden bereits 10% des Stroms auf der Welt von der Informationstechnik verbraucht, mit der Perspektive eines starken Anstiegs. 2017 gehe ich eher von mehr als 15% aus. [Stand 2021: Wert immer noch nicht erreicht] Die “Kitakyushu Research Group for Sustainability” schätzt: Bis 2025 wird der Datenverkehr um den Faktor 200, der benötigte Stromverbrauch um den Faktor 5 zunehmen. […] Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit wäre das eine Katastrophe." LUTZ, J (2017): Informationstechnik und Industrie 4.0 unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit, Community.dialog, Ausgabe 01-2017 I Februar
Prof. Lutz hat seine Prognose, die keine Effizienzgewinne eingerechnet hatte, zuletzt deutlich nach unten korrigiert.

The shift project, -LEAN ICT- TOWARDS DIGITAL SOBRIETY, REP ORT OF THE WORKING GROUP DIRECTED BY HUGUES FERREBOEUF FOR THE THINK TANK THE SHIFT PROJECT, MARCH 2019, https://theshiftproject.org/wp-content/uploads/2019/03/Lean-ICT-Report_The-Shift-Project_2019.pdf
Die französische Forschungsgemeinschaft „The shift project“, die nach „schlankeren“ Lösungen der Digitalisierung sucht, schrieb in ihrem Gutachten März 2019: “Die digitale Transformation verursacht derzeit ein starkes Ansteigen des direkten energetischen Fußabdrucks der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT). Dieser Fußabdruck beinhaltet die Energie für die Produktion und den Betrieb der Geräte (Server, Netzwerke, Bildschirme) und wächst rapide um 9 Prozent pro Jahr.“ übersetzt aus, S. 4/ Schlüsselerkenntnisse)
Das wäre eine Verdopplung alle 8 Jahre und damit ICT auf Kollisionskurs mit sämtlichen Klimaschutzzielen.

Derart pessimistischen Betrachtungen, die auch einige methodische Mängel aufweisen, wird in neueren Untersuchungen widersprochen, z.B. in einer Veröffentlichung des IKT-Branchenverbands Bitkom zur momentan im Netz dominierenden Datentransferart „Video-Streaming“ * https://www.bitkom.org/sites/default/files/2020-06/200618_lf_nachhaltigkeit-von-streaming.pdf
Danach basiere die wissenschaftlich nicht begutachtete LEAN ICT-Studie hauptsächlich auf einer einzigen akademischen Quelle (Huawei Research aus dem Jahr 2015), die ein „pessimistischer Ausreißer“ sei. Deren Ergebnisse wurden vom „Shift Project“ mit eigenen Berechnungen und Annahmen ergänzt, die nicht immer transparent oder nachvollziehbar seien; z.B. werde für die Energie, die im Durchschnitt gebraucht wird, um eine gewisse Datenmenge zu transportieren, ein gegenüber dem akademischen Konsens weit erhöhter Wert genommen.

Laut der Huawei-Studie hätte sich der weltweite Energieverbrauch von Rechenzentren zwischen 2015 und 2019 schon verdoppeln müssen; trotz stark anwachsender Datenmengen sei er dank höherer Effizienz der Server-Zentren praktisch gleich geblieben. In diesem speziellen Bereich konnte tatsächlich durch den Einsatz erneuerbarer Energien und den Bau von Serverfarmen in Subpolarregionen der CO2-Fußabdruck eher verringert werden.
Ob dieser Effizienzsprung von 2021 bis 2025 extrapoliert werden darf, um ein mit 5G sehr stark wachsendes Datenvolumen nachhaltig verarbeiten zu können, wäre die Frage.

In der 2021 aktuellen Untersuchung von Prognos/Fraunhofer/Öko-Institut für Deutschlands Energiebedarf 2018–2030 geht man in „Szenario1“ für IKT nicht mehr von einem Strombedarfsanstieg aus, weil nicht nur in den „Hyperscale-Rechenzentren“ die Effizienz das Wachstum ausgleichen soll. In optimistischen nicht-linearen Extrapolationen sind für und durch IKT sogar Einsparungen möglich, so dass als Treiber (des Strombedarfs) die E-Mobilität wichtiger wird: https://www.heise.de/news/Altmaiers-neue-Stromprognose-Haupttreiber-ist-die-E-Mobilitaet-6268822.html
Der unter Einrechnung der Hardware ggf. noch positive Saldo des CO2-Ausstoßes von IKT/Digitalisierung und E-Mobilität bräuchte durch Umstellung auf Erneuerbare Energien nicht im gleichen Umfang zu wachsen wie der Stromverbrauch. In jedem Fall wichtig bleibt aber der hohe Ressourcenbedarf gerade auch im Feld problematischer Rohstoffe.

Bei Szenario-Betrachtungen, die stärker auf Zielen als auf messbaren Maßnahmen beruhen, sollte man aber nach 26 Klimaschutzkonferenzen und teils eklatanten Zielverfehlungen in den Updates der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (2016,2018,2021)** kritisch nachfragen dürfen. Seit Jahrzehnten kann einfach bei zu vielen problematischen Wachstumstrends immer nur weiter gehofft werden, dass die Trends bald nach unten gebogen werden können.

*) Im AKTUELLES-Beitrag wurde eine Schlagzeile der Neuen Zürcher Zeitung „Streaming ist das neue Fliegen“ erwähnt. In einem Interview mit Informatik-Professor Lorenz Hilty, Leiter der Forschungsgruppe Informatik und Nachhaltigkeit der Universität Zürich im Tagesanzeiger wird der Vergleich der CO2-Emission zwischen einem Streaming-Teilnehmer und einem Flugpassagier als etwa um den Faktor 1000 übertrieben erläutert: https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/diverses/streaming-belastet-das-klima-nicht-mehr-als-einen-raum-zu-beleuchten/story/30018080
Ein „Malle-Wochenend-Trip“ muss demnach weiterhin als klimaschädlicher gelten als jedes Binge-Watching.

**) Etwa bei der Mobilität oder dem Ziel für nachhaltige Entwicklung „12.1.bc Globale Umweltinanspruchnahme durch den Konsum privater Haushalte – CO2-Emissionen – Kontinuierliche Reduzierung“ (S. 103 in https://www.bundesregierung.de/resource/blob/998006/1873516/7c0614aff0f2c847f51c4d8e9646e610/2021-03-10-dns-2021-finale-langfassung-barrierefrei-data.pdf?download=1 )

Auch das Papier "Energiebedarf der Digitalisierung und IT - BMWi" https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/P-R/roadmap-2045-inputapier-ag-energiebedarf-der-digitalisierung.pdf?__blob=publicationFile&v=8
schlägt mehr Problembewusstsein und Anstrengungen zur Quantifizierung u.a. der Treibhauswirkung vor. Ein Anliegen, das der BUND Naturschutz in allen Infrastrukturplanungen anmahnt.

The Shift Project hatte vor allem aus den Echtdaten der jüngeren Vergangenheit Trends ermittelt und Alarm geschlagen. „Towards Digital Sobriety“: Digitale Nüchternheit (Ernsthaftigkeit, Problem-bewusstheit) angesichts der diversen hohen Wachstumsraten, die alle „nachhaltig“ bewältigt werden sollen, wäre jedenfalls auf einem Dialog-Podium legitim und würde vermutlich nicht zu einer „false balance“ führen, die im Bericht weiter unten erläutert wird.

Eine „false balance“ zwischen Nachhaltigkeitszielen und Wirklichkeit scheint hier eher in der Tagesschau vorzuherrschen, wenn uns als einziges Problem des Weihnachtsgeschäfts (mit neuen Smartphones und Gaming-Ausrüstung) die Lieferengpässe präsentiert werden. Und allgemein ein noch freundlicheres Konsumklima als Motor der Konjunkturbelebung 2022 gepriesen wird, ohne ausbalancierende „Fußnote“.

[5]
SANTARIUS, T (2018): Der Stromhunger wächst, DIE ZEIT, 01.02.2018, S.35 und LANGE, S / SANTORIUS, T (2018): Smarte grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit, München;
Anmerkung: die PKW-Masse enthält natürlich heutzutage auch viel Elektroschrott, wobei allerdings das PKW-Recycling besser funktioniert und weniger toxisch abläuft für Umwelt und Arbeiter, viele davon Kinder, als beim Computer-Abfackeln auf einer Müllhalde in Dakka. Durch afrikanische Städte fahren von Deutschland dank „Umweltprämie“ exportierte Gebrauchtwagen, nachdem man den Katalysator herausgenommen und zur Rohstoffrückgewinnung verscherbelt hat.
Zum Thema Elektroschrott, vgl. auch den „verhinderten Referenten“ vom 17.11.21, Jürgen Merks (BUND) in seinem Beitrag: „Digital first, Planet second“, 13.02.2019 in
https://www.kontextwochenzeitung.de/debatte/411/digital-first-planet-second-5716.html,
wären kritische Nachfragen bereits in der ausgefallenen Rosenheimer Infoveranstaltung im April 2020 sinnvoll gewesen – vielleicht gibt es dann ein Update im Jahr 2022.

[6]
Deutscher Naturschutzring (DNR): „Das Märchen von der Entkoppelung“,
https://www.dnr.de/eu-koordination/eu-umweltnews/2019-wirtschaft-ressourcen/das-maerchen-von-der-entkopplung/?L=928 
zu: Europäisches Umweltbüro (EEB), DNR und Institut für zukunftsfähige Ökonomien (ZOE): Decoupling debunked - Evidence and arguments against green growth as a sole strategy for sustainability,
https://mk0eeborgicuypctuf7e.kinstacdn.com/wp-content/uploads/2019/07/Decoupling-Debunked-FULL-for-ONLINE.pdf

[7]
Prof. Dr. Hans-Jürgen Müggenborg, "Das Vorsorgeprinzip beim Ausbau von G5", Natur und Recht, 43, S. 16–20 (2021),
https://link.springer.com/article/10.1007/s10357-020-3785-z
„ZUSAMMENFASSUNG - Der Ausbau des neuen Mobilfunkstandards 5G steht in den Startlöchern und hat mancherorts bereits begonnen. Zu fragen ist, ob der weitgehend ungeregelte Ausbau dieser neuen Technologie vor dem Hintergrund zahlreicher Untersuchungen, die auf ein gesundheitliches Gefährdungspotenzial der Technik hinweisen, überhaupt zulässig ist.“

[8]
Bericht zum Mobilfunkkonzept der Gemeinde Siegsdorf:
https://www.ovb-heimatzeitungen.de/chiemgau/2021/08/16/mobilfunkkonzept-verabschiedet.ovb

[9]
International anerkannte Experten:
Zu Prof. Dr. med. Wilhelm Mosgöller siehe z.B. den weiterhin aktuellen Kurzfilm (2016) über die Forschung an „DNA-Strangbrüchen“ unter Mobilfunk unterhalb der Grenzwerte (zusammen mit Prof. Dr. med. Michael Kundi). Der Beitrag für die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt Österreichs (AUVA) enthält auch wertvolle Vorsorge-Empfehlungen, deren Fokus nicht auf Verzicht, sondern auf risikobewusstem Umgang mit Mobilfunkgeräten liegt: https://youtu.be/j3aPL0j6JTs.

Prof. Mosgöller war auch als Sachverständiger der Schadenersatzprozesse von Hirntumor-Opfern am höchsten US-Zivilgericht (Washington D.C. Superior Court, 2016) geladen.

Prof. Dr. med. Dr. ing. Hans-Peter Hutter argumentiert in der Bundestagsanhörung vor der Novellierung der 26.BImSchV (2013) für die Senkung der deutschen Grenzewerte; ab Min. 30 in https://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2013/43065372_kw09_pa_umwelt-211028.

[10]
BUND-Resolution Mobilfunk 2018: „Schutz und Vorsorge der Bevölkerung und Umwelt vor Funkstrahlung“ (18.11.2018) - https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/bundintern/verband_gremien/deligiertenversammlung/bdv_2018/bund_bdv_2018_funkstrahlung.pdf

[11]
NaturFreunde Deutschlands e.V., NaturFreunde-Positionspapier »Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation«, März 2021, https://www.naturfreunde.de/sites/default/files/attachments/nf_positionspapier_digitalisierung_und_transformation.pdf

[12]
Mobilfunk und Gesundheit: Empfehlungen der Landesärztekammer Baden-Württemberg
https://www.aerztekammer-bw.de/10aerzte/05kammern/10laekbw/20ehrenamt/30ausschuesse/praevention/mobilfunk-und-gesundheit-02-2021.pdf
Das „GELBE PLAKAT“ 10 MEDIZINISCHE HANDY-REGELN! der Wiener Ärztekammer ist mittlerweile als Klassiker der Vorsorgeaufklärung bekannt, allerdings kaum in Bayern.
 https://www.agenda-21-feldkirchen-westerham.de/files/agenda21/arbeitskreise/Zukunftsfaehige-Kommunikationstechnologien/PDF_20151211_OTS0076_0.pdf

[13]
"Klimakiller Tiktok. Die Ökosünden der Digitalindustrie".
Le Monde diplomatique https://monde-diplomatique.de/!5793006

Tipps zur Vermeidung unnötiger Energie- und Ressourcenverbräuche finden sich in der „#VOLLVERNETZT“-Broschüre der BUND-Jugend
https://www.bundjugend.de/wp-content/uploads/Bundjugendbroschueredigitalisierungweb.pdf

[14]
Bericht von der (entsprechenden) Podiumsdiskussion im Nachbarlandkreis:
https://www.agenda-21-feldkirchen-westerham.de/files/agenda21/arbeitskreise/Zukunftsfaehige-Kommunikationstechnologien/Berichtts-5G-digitaleTransformation-SpkEBE-20201005-12x.pdf