Der Lobby auf den Leim gegangen
Leserbrief vom April 2012 zum Brenner-Basistunnel und zur Zulaufstrecke
So positiv, wie die Befürworter von Brenner-Basistunnel und neuen Zulaufstrecken die Sachlage darstellen, ist sie bei weitem nicht. Es ist keinesfalls sicher, ob das Projekt, dessen Hauptbauphase erst 2016 beginnen soll und dann vermutlich 20 Jahre dauern wird, wegen der immensen Kosten von insgesamt ca. 40 Milliarden Euro überhaupt realisiert werden kann. Auch auf Deutschland kämen über den Beitrag der EU und die Zulaufstrecke hohe Summen zu. Der Versuch einer privaten Finanzierung ist ja bereits gescheitert. Weil Österreich und Italien „schwächeln“, soll nun der EU-Anteil erhöht werden. Der Tunnel würde nicht den bestehenden Autobahn-Güterverkehr, sondern allenfalls prognostizierte Zuwächse aufnehmen; es würden also neue Transportkapazitäten für Güter geschaffen, die irgendwie auch durch das Inntal müssen.
Es ist fraglich, ob dafür eine neue Bahntrasse gebaut wird, wie sie von den Befürwortern herbeigesehnt wird. Denn die bestehende Strecke im Inntal hat noch große freie Kapazitäten. Auch im österreichischen Unterinntal wurde erst bei einer deutlich höheren Belastung durch den Ost-West-Verkehr und den Regionalverkehr neu gebaut. Eine zusätzliche Trasse im engen bayerischen Inntal hätte nicht nur auf die Natur, sondern auch auf den Menschen folgenschwere Auswirkungen wie Enteignungen und jahrelange Belastungen durch den Bau. Das Tal würde danach mehr noch als jetzt zu einer Durchfahrtsstrecke. Der Fremdenverkehr würde immensen Schaden erleiden. Wer die Streckenführung "sensibel" planen und ausführen will, redet die Zerstörung von Natur und menschlichem Lebensraum wieder mal schön. Auch könnte Rosenheim vom Fernverkehr nach Italien abgehängt und ein Teil des Güterverkehrs weiter auf der Bestandsstrecke abgewickelt werden. Die EU will mit Vollgas von Berlin nach Palermo. Wen interessiert da die Region Rosenheim? Für die Verlagerung des zunehmenden Verkehrs auf die Schiene bräuchte es Lenkungsmaßnahmen: Solange der LKW-Transport billiger ist als die Bahn, steigt keiner um.
Wäre es da nicht besser, sich von dem gesamten Projekt schleunigst zu verabschieden und gleich sinnvolle Lenkungsmaßnahmen einzuführen? Der Warentransit auf der Brenner-Achse hat in den letzten Jahrzehnten mehr als doppelt stark zugenommen wie im gesamten Alpenraum. Das hat einfache Gründe, wie zum Beispiel die günstige Maut und die niedrigen Kraftstoffpreise in Österreich. Dafür nehmen die Frächter große Umwege in Kauf, die in Deutschland und Italien gefahren werden. Hier ist die Maut niedrig, weil die Gesundheits- und Umweltkosten des LKW-Verkehrs unzureichend berücksichtigt sind. Lenkungsmaßnahmen wie die Angleichung von Maut und Dieselsteuer sowie eine Alpen-Transitbörse führen sofort zu einer Vermeidung unnötigen Verkehrs und zu einer gerechten und effizienten Verteilung des verbleibenden Verkehrs. Das St.-Florians-Prinzip zu Lasten des Brenners wäre endlich durchbrochen. Für das gesparte Geld lassen sich weit sinnvollere Bahnprojekte und ein Lärmschutz finanzieren, der den Anwohnern sofort zusätzliche Entlastung brächte.
Die Befürworter von Brenner-Basistunnel und neuen Zulaufstrecken stellen sich gerne als Wohltäter der Menschen dar und spotten über die Kritiker. Sind sie nicht eher der Bau-, Banken- und Transit-Lobby auf den Leim gegangen oder gehören gar selbst dazu?
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Weiterer Leserbrief zur Vertragsunterzeichnung im Juni 2012...