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Wasserburg am Inn

Wege zur Bürgerbeteiligung und Bürgermitwirkung

"Wege zur Bürgerbeteiligung und Bürgermitwirkung" lautete das Thema des dritten Abends in der Reihe "Reden über Rosenheim". Wer sich beim Besuch auf staubtrockene Ausführungen über Organisationsstrukturen und Prozessmanagement eingestellt hatte, fiel auf angenehme Weise aus allen Wolken. Denn Bürgermeister Michael Pelzer aus Weyarn stellte den Weg seiner Gemeinde zu einer von Bürgern mitbestimmten Kommunalpolitik auf anschauliche und fesselnde Weise dar. Schulneubau, Dorfladen, Bücherei und Verkehrsberuhigung durch Straßenrückbau sind einige Beispiele für das, was die Bürgerinnen und Bürger von Weyarn in den letzten 17 Jahren mit Gemeinderat und Verwaltung verwirklicht haben. Alle konnten daran mitwirken; beim Schulneubau drückten auch die Kinder aus, was ihnen an der neuen Schule wichtig ist. Viel Licht und draußen fließendes Wasser waren u.a. ihre Vorgaben, die letztlich auch umgesetzt wurden.

Grundlage für den Mitwirkungsprozess war ein Umdenken im Umgang zwischen Gemeindepolitikern, Verwaltungsfachleuten und Bürgern. Sie begegnen sich heute auf Augenhöhe, da ihnen annähernd der gleiche Informationsstand möglich ist und die Bürger – wo nötig – sich auf Gemeindekosten weiterbilden, um sachgerecht urteilen zu können. In zahlreichen Arbeitskreisen, die aus der Bürgerschaft selbst initiiert werden, kommen die Themen auf die Tagesordnung, die den Bürgern wichtig sind. Auf diese Weise wurde schon vor Jahren ein Leitbild für die Entwicklung der Gemeinde entwickelt, mit dem der ländliche Charakter erhalten und von den Bürgern zukunftsorientiert gestaltet werden soll. Dabei entstand parallel zu den üblichen kommunalen Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen eine “zweite Säule“ der Willensbildung und Entscheidungsfindung direkt bei den Bürgern. Beide Säulen werden durch eine Koordinationsstelle miteinander verzahnt und abgestimmt, bis hin zur letztlichen Entscheidung. Die Gemeinde hat in einer Ortssatzung diese Mitwirkung der Bürger rechtsverbindlich geregelt.

Etwa 60.000 Euro gibt die 3000-Seelen-Gemeinde pro Jahr für ihre Bürgerbeteiligung aus, Koordinationsstelle und Qualifizierung der Bürger inbegriffen. Aber noch höher sind laut Bürgermeister Pelzer die Einsparungen, die auf der Ausgabenseite erzielt werden. Allein beim Schulneubau wurden 1,2 Mio. € von geplanten 8 Mio. € Baukosten eingespart! Die Bürger gehen mit ihren Steuergeldern sehr kostenbewusst um.

Weyarn hat es auch geschafft, den jungen Menschen durch seine Bodenpolitik die Gewissheit zu geben, dass sie hier eine Zukunft haben und nicht durch spekulationsgetriebene Bodenpreissteigerungen verdrängt werden. Das geschieht, indem bei planungsbedingten Bodenwertsteigerungen Teilflächen an die Gemeinde fallen, die sie günstig an die eigenen Bürger weitergeben kann.

Fühlte sich mancher Besucher bisweilen in eine andere Welt versetzt, so benannte Bürgermeister Pelzer auch den Schlüssel dahin. “Mehr Demokratie wagen“ (Willy Brandt) und “Bürgergesellschaft“ (Alois Glück) beruhen darauf, die Bürger ernst zu nehmen, von der eigenen Macht abzugeben, in Menschen zu investieren und die verbreitete Angst vor dem Bürger abzulegen. So leicht das klingt, ist das anderswo für die meisten Politiker noch eine fremde Welt, und der Weg dorthin scheint weiter zu sein als die 30 km von Rosenheim nach Weyarn.